Being Tagged:

Die digitale Neuordnung der Welt


Wer er­hebt un­ter wel­chen Be­dingungen Da­ten und wer hat Zugriff darauf?

Wie würde eine ent­spre­chen­de Infrastruktur aussehen?

Was darf von wem mit Tags versehen werden und wer kann sie auslesen?

Wie wirkt sich die Re­gis­trie­rung der Dingwelt auf die Kon­trolle von materiellen Ressourcen aus?

Inwiefern stellt dies Recht­spre­chung und Da­ten­schutz vor neue Probleme?


Das Projekt

Being Tagged: Die digitale Neuordnung der Welt

RFID-Technik („Radio-Frequency Identification“, deutsch: „Funkerkennung“) bleibt in unserem Alltag häufig unsichtbar und doch ist sie fast überall: Die Chips finden sich u. a. in Ausweisen, Fahrzeugen, Kleidung, der Umwelt, in Tieren und manchmal auch in Menschen. Auf diesen Chips werden Informationen wie z. B. Produktionsdaten, Lieferketten und Preise, Namen, Geburtsdaten oder biometrische Merkmale gespeichert. Durchgesetzt hat sich in den vergangenen Jahren aber auch eine neue Technik, die es ermöglicht, RFID-Tags ohne Chips herzustellen und diese kostengünstig an fast jedem Objekt anzubringen.

Das zentrale Ziel dieses interdisziplinären Projekts zwischen Mediensoziologie, Science & Technology Studies (STS) und Elektrotechnik ist ein exploratives Gesamtbild der Chancen, Herausforderungen und Konfliktszenarien ubiquitärer chiploser RFID-Anwendungen zu erstellen. Relevante Verfahren, Infrastrukturen und Dynamiken von Wissensgenerierung und Weltaneignung sollen mittels einer qualitativen Inhaltsanalyse, Expert:innen-Interviews und eines Zukunftsworkshops mit Vertreter:innen aus Wissenschaft, Industrie, Zivilgesellschaft und Science-Fiction-Autor: innen im Rahmen des Inventarisierungsdispositivs identifiziert werden.

Auf diese Weise sollen RFID-Systeme in ihrer sozialen Funktion und Wirkung als Teil eines umfassenderen Trends hin zu einer folgenreichen Verumweltlichung der Digitalisierung durch verknüpfte komplexe Systeme und technologische Infrastrukturen (vgl. u.a. Schröter 2015: 235f.; Frith 2019; Hayles 2009) erfasst werden. Eine großangelegte Inventarisierung der Welt bringt neue Formen der Wissensproduktion, -organisation und -strukturierung hervor, die sich deutlich auf unsere Wahrnehmung von Welt und Subjektivität auswirken. Deshalb gilt es, die Entwicklungen der neuen RFID-Technologie explorativ zu analysieren, um dadurch entstehende Chancen und Risiken frühzeitig zu identifizieren und im Hinblick auf politische, ökonomische und ethische Aspekte zu reflektieren. Da bisher keine Studien zur chiplosen RFID-Technologie im Bereich STS oder Technikfolgenabschätzung bekannt sind, will die Studie realistische Vorstellungen von Anwendungen und ihren Konsequenzen entwickeln, die über klassische logistische Visionen hinausgehen und die soziotechnischen und kulturellen Effekte der neuen Technologie aufzeigen.


Literatur:

Frith, Jordan: A Billion Little Pieces. RFID and lnfrastructures of ldentification. Cambridge/London: MIT press 2019.

Hayles, N. Katherine (2009): RFID. Human Agency and Meaning in Information-Intensive Environments. In: Theory, Culture & Society 26 (2-3), S. 47–72.

Schröter, Jens (2015): Das Internet der Dinge, die allgemeine Okologie und ihr Okonomisch-Unbewusstes. In: Christoph Engemann und Florian Sprenger (Hg.): Internet der Dinge. Uber smarte Objekte, intelligente Umgebungen und die technische Durchdringung der Welt. 1., Aufl. Bielefeld: transcript, S. 225–240.


Das Projektteam

Jutta Weber ( jutta.weber@uni-paderborn.de ) ist Technikforscherin und leitet das Fachgebiet Mediensoziologie an der Universität Paderborn. Ihre Forschung analysiert die Verschränkung von menschlichen Praktiken und maschinellen Prozessen v.a. im Bereich Informatik, Künstliche Intelligenz und Robotik. Aktuell leitet sie neben dem BMBF Forschungsverbund ‚Ubitag‘ den BMBF-Forschungsverbund MEHUCO: ‚Meaningful Human Control. Autonome Waffensysteme zwischen Reflexion und Regulation‘ (2022-2026);www.mehuco.de

Ausgewählte Publikationen:

Anpassung oder ‘Öffentlicher Luxus’. Sozialökologische Transformation in Theorie und Social Science Fiction. In: Widerspruch 2024 (im Erscheinen)

Autonomous Drone Swarms and the Contested Imaginaries of Artificial Intelligence. Digi War (2024). https://doi.org/10.1057/s42984-023-00076-7

Planetarische Notlage: Über grünen Kapitalismus, die Revolution der letzten Generation und die Versuchungen protektionistischer Technokratie. In: esc medien kunst labor: Wüsten der Wirklichkeit. Jan. 2023; https://esc.mur.at/de/jahresprogramm/w%C3%BCste-der-wirklichkeiten

Datenbanken. In: Feministische Studien, Vol. 40 (2/2022), pp. 234-236.

Probably Approximately Correct. Epistemologische Grundlagen der Künstlichen Intelligenz. In: Orsolya Friedrich et al. (Hg.): Mensch-Maschine-Interaktion – Konzeptionelle, soziale und ethische Implikationen neuer Mensch-Technik-Verhältnisse. Paderborn 2022, 71-81.

Brave New Kachel World? Über Zoom-Booming, Datenkontrolle und öffentliche Infrastrukturen. In: Selin Gerlek, Sarah Kissler, Thorben Mämecke, Dennis Möbus (Hg.): Von Menschen und Maschinen

Mensch-Maschine-Interaktionen in digitalen Kulturen. Hagen: Hagen University Press 2022, 95-109; https://ub-deposit.fernuni-hagen.de/servlets/MCRFileNodeServlet/mir_derivate_00002340/DK_Von_Menschen_und_Maschinen_2022.pdf

Jutta Weber, Daniel Erni und Jasmin Troeger, "ubiTag / 'Being Tagged': Die digitale Neuordnung der Welt – Chancen, Herausforderungen und Konfliktszenarien ubiquitärer chiploser RFID-Anwendungen," BMBF INSIGHT Forum 2022, Interdisziplinäre Perspektiven des gesellschaftlichen und technologischen Wandels, Talk & Poster, Dec. 5-6, Design Offices Berlin Humboldthafen, Berlin, Germany, Session: 'Themenoffenes Feld’, 2022. 

Artificial Intelligence in the Age of Technoscience.“ In: Anthony Elliott (Hg.) Routledge Social Science Handbook of Artifical Intelligence. New York/London: Routledge, 2021, S. 58-73  (mit Bianca Prietl)

Human-Machine Learning und Digital Commons. In: Kathrin Braun/Cordula Kropp (Eds.): In digitaler Gesellschaft. Neukonfigurationen zwischen Robotern, Algorithmen und Usern. Bielefeld, Transcript. 2021; https://juttaweber.eu/wordpress/wp-content/uploads/2021/10/oa97838394545345e2h1FRnkmT9K-seiten-1-7133-135214-223.pdf

Technosecurity Cultures. Science as Culture, 29:1, 2020, hg. mit Katrin Kämpf;

Human-Machine Autonomies. In: Nehal Bhuta et al. (Eds.): Autonomous Weapon Systems. Cambridge 2016, 75-102 (mit Lucy Suchman);

Keep Adding. Kill Lists, Drone Warfare and the Politics of Databases. In: Environment and Planning D. Society and Space, Vol. 34(1) 2016, 107-125;

Blackboxing Organisms, Exploiting the Unpredictable. Control Paradigms in Human-Machine Translation. In: Martin Carrier, Alfred Nordmann (Hg.): Science in the Context of Application, Studies in the Philosophy of Science, Vol.274(6) 2011, S. 409-429.

Interdisziplinierung? Über den Wissenstransfer zwischen den Geistes-, Sozial- und Technowissenschaften. Bielefeld: transcript 2010, http://www.transcript-verlag.de/978-3-8376-1566-1/interdisziplinierung?c=91.

vgl. auch www.juttaweber.eu

Daniel Erni ( Daniel.erni.ate@mailbox.org ) leitet das Fachgebiet Allgemeine und Theoretische Elektrotechnik (ATE) an der Universität Duisburg-Essen. Er ist Mitbegründer des Spin-off-Unternehmens airCode in Duisburg, das an der Entwicklung flexibler, druckbarer RFID-Technologien arbeitet. Zu seinen aktuellen Forschungsinteressen gehören neben den chiplosen flexiblen RFIDs, die optische Verbindungstechnik höchster Bitraten, Nanophotonik, Plasmonik, hochempfindliche optische Biosensorik, neuartige Solarzellenkonzepte, optische und elektromagnetische Metamaterialien, Hochfrequenz-, mm-Wellen- und THz-Technik, biomedizinische Technik, Bioelektromagnetik, marine Elektromagnetik, computergestützte Elektrodynamik, numerische Multiskalen- und Multiphysik-Modellierung, numerische Strukturoptimierung sowie die Wissenschafts- und Technikforschung (STS). In der Fakultät für Ingenieurwissenschaften leitet er den Bachelor- und Masterstudiengang Medizintechnik.

Publikationen:

K. Neumann, D. Erni, and N. Benson, "Addressing the effects of UHF RFID tag crumpling," Int. Conference of Smart and Sustainable Technologies (SpliTech 2023), June 20-23, Hotel Elaphusa, Bol, Split, Croatia, 2023.

K.-D. Jenkel, B. Sievert, A. Rennings, M. Sakaki, D. Erni, and N. Benson, "Enhanced radar cross-section for W-band corner reflectors using ceramic additive manufacturing," 12th Annual IEEE Int. Conf. on RFID Technol. and Appl. (RFID-TA 2022), Sept. 12-14, Regina Margherita Conference & Leisure Hotel, Cagliari, Italy, Workshop Session S1_2: 'Flexible and Printable Electronics and Electromagnetics', pp. 1-3, 2022.

K. Jerbic, J. T. Svejda, B. Sievert, X. Liu, K. Kolpatzeck, M. Degen, A. Rennings, J. Balzer and D. Erni, "The identification of spectral signatures in randomized (sub-)surface material systems," 5th Int. Workshop on Mobile THz Systems (IWMTS 2022), July 4-6, University of Duisburg-Essen, Fraunhofer-inHaus-Center, Duisburg, Germany, Session 4: 'Terahertz Identification and Classification', 2022, (hybrid workshop as both, on-site and online event), doi: 10.1109/IWMTS54901.2022.9832449.

Z. Tian, R. He, H. Gao, M. Sakaki, N. Benson, P. Hildenhagen, D. Erni, and A. Rennings, "Design of a compact combline filter fabricated by lithography-based ceramic manufacturing (LCM)," 43rd Photonics and Electromagnetics Research Symposium (PIERS 2022), hybrid/virtual conference including postponed PIERS 2021, April 25-29, Hangzhou, China, Session 3A16a – 'SC4: Microwave Integrated Passive Circuits and Devices', pp. 1-2, 2022.

K.-D. Jenkel, B. Sievert, A. Rennings, M. Sakaki, D. Erni, N. Benson, "Radar cross-section of ceramic corner reflectors in the W-band fabricated with the LCM-method," IEEE Trans. Antennas Propagat., 2023, (accepted).  

Jasmin Troeger ( jasmin.troeger@uni-paderborn.de ) arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fachgebiet der Mediensoziologie bei Prof. Dr.  Jutta Weber. Aktuell befasst Sie sich im Projekt „Being Tagged‘: Die digitale Neuordnung der Welt“ (ubiTag), mit den Implikationen einer zunehmenden Inventarisierung von Welt durch den Einsatz chiploser ubiquitärer RFID-Anwendungen. Zudem befasst sie sich In Ihrer Dissertation aus medienwissenschaftlicher Perspektive an der Schnittstelle zwischen der STS und der CDS mit der prägenden Rolle von adaptiven, datengetriebenen Lernplattformen und damit einhergehend von automatisiert produzierten Daten, welche durch den Einsatz von algorithmengesteuerter Lernsoftware entstehen.

Sie studierte Kommunikations- und Medienwissenschaften am Institut für Journalistik und Kommunikationsforschung der Hochschule für Musik, Theater und Medien in Hannover. In ihren bisherigen Forschungsprojekten befasste sich Jasmin Troeger unter anderem mit Fragen aus den Bereichen der Medienverarbeitung und -wirkung sowie der Modellierung sozialer Identität durch Mediennutzung.

Forschungsschwerpunkte

  • Neue Medien- und Kommunikationstechnologien
  • Digitaler Wandel
  • Datafizierungsprozesse
  • Qualitative Forschungsmethoden der Kommunikations- und Medienwissenschaft

Ausgewählte Publikationen

Jutta Weber, Daniel Erni und Jasmin Troeger, "ubiTag / 'Being Tagged': Die digitale Neuordnung der Welt – Chancen, Herausforderungen und Konfliktszenarien ubiquitärer chiploser RFID-Anwendungen," BMBF INSIGHT Forum 2022, Interdisziplinäre Perspektiven des gesellschaftlichen und technologischen Wandels, Talk & Poster, Dec. 5-6, Design Offices Berlin Humboldthafen, Berlin, Germany, Session: 'Themenoffenes Feld’, 2022.

Troeger, J., Zacharova, I., Jarke, J., Macgilchrist, F. (2023). Digital ist besser!? - Wie Software das Verständnis von guter Schule neu definiert. In: Hrsg.: Breiter, A., Bock, A., Lange, A., Jarke, J. (2022) Datafied. Data for and in Education. Springer

Macgilchrist, F., Jornitz, S., Mayer, B., Troeger, J., (2023) Adaptive Lernsoftware oder adaptierende Lehrkräfte? Das Ringen um Handlungsspielräume. In: Hrsg.: Breiter, A., Bock, A., Lange, A., Jarke, J. (2022) Datafied. Data for and in Education. Springer

Troeger, J., Bock, A. (2022) The walkthrough – a methodological approach for platform (user) studies from a communication research perspective. Studies in Communication Sciences

Troeger, J., Lüpkes, J., & Bock, A. (2022). In software we (do not) trust. In Eckhardt Fuchs, Marcus Otto (Hg.): In Education We Trust? Vertrauen in Bildung und Bildungsmedien. Band 153. Göttingen: V&R unipress

Weich, A., Priedigkeit, M., Deny, P., & Troeger, J. (2021). Adaptive Lernsysteme zwischen Optimierung und Kritik: Eine Analyse der Medienkonstellationen bettermarks aus informatischer und medienwissenschaftlicher Perspektive. MedienPädagogik - Zeitschrift für Theorie und Praxis der Medienbildung, (44), 22-51. https://doi.org/10.21240/mpaed/44/2021.10.27.X

Troeger, J. & Tümler, J., (2020). Virtual Reality zur Steigerung empathischer Anteilnahme. In: Weyers, B., Lürig, C. & Zielasko, D. (Hrsg.), GI VR / AR Workshop. Gesellschaft für Informatik e.V.. DOI: https://doi.org/10.18420/vrar2020_3

  • Johanna Knop (Universität Paderborn)
  • Mariam Awwad (Universität Duisburg-Essen)

J. Weber, J. Troeger, and D. Erni, "ubiTag / 'Being Tagged': Die digitale Neuordnung der Welt – Chancen, Herausforderungen und Konfliktszenarien ubiquitärer chiploser RFID-Anwendungen," BMBF INSIGHT Forum 2022, Interdisziplinäre Perspektiven des gesellschaftlichen und technologischen Wandels, Talk and Poster, Dec. 5-6, Design Offices Berlin Humboldthafen, Berlin, Germany, Session: 'Themenoffenes Feld’, 2022.

J. Troeger, D. Erni, and J. Weber, "Tagging the whole world: Chipless RFID as a invisible, ubiquitous infrastructure of identification," STS Italia Conference (STS Italia 2023), June 28-30, University of Bologna, Bologna, Italy, 2023.

K. Neumann, D. Erni, and N. Benson, "Addressing the effects of UHF RFID tag crumpling," Int. Conference of Smart and Sustainable Technologies (SpliTech 2023), June 20-23, Hotel Elaphusa, Bol, Split, Croatia, 2023.


Meilensteine

2022

Projektstart

Berlin: BMBF INSIGHT Forum 2022

Interdisziplinäre Perspektiven des gesellschaftlichen und technologischen Wandels, Talk and Poster

Videomitschnitt aufrufen 

2023

Virtuell: INSIGHT-Workshops 2023

Zwischenergebnisse und Verwertungskonzepte

Split, Croatia: Int. Conference of Smart and Sustainable Technologies (SpliTech 2023)

Bologna, Italien: STS Italia Conference

Università di Bologna, Bologna, Italia

2024

Zukunftsworkshop

2025

Veröffentlichung des Abschlussberichts


Abschlussbericht

 

Kurzdarstellung der Projektergebnisse

 

Passive, druckbare und damit flexible chiplose Funketiketten (bzw. chipless RFID-Tags) gelten derzeit als vielversprechendste Alternative zum optisch lesbaren Barcode und als zukunftsträchtige Technologie für das Internet of Things (IoT). Sie sind kostengünstig herstellbar und man arbeitet an ihrer Applikation auf nahezu jede Oberfläche. Chipless RFID-Technologie verspricht, dass sie aus der Distanz, ohne Sichtverbindung und
potentiell auch parallel Objekten in großer Zahl auslesen kann. Diese Technologie würde die ubiquitäre (automatisierte) Verknüpfung physischer Objekte und Personen im digitalen Datenuniversum ermöglichen. Damit zählen RFID-Systeme – insbesondere RFID-Funketiketten – zu wichtigen, häufig unsichtbaren Akteuren in einer Vielzahl von sich kontinuierlich weiterentwickelnden Infrastruktur- und Identifikationstechnologien.
Eine Umsetzung dieser Technologie würde eine vollständige Inventarisierung und eventuell auch Kommerzialisierung aller Objekte unserer Welt bedeuten, in der Objekte eigenständig und teils unbemerkt miteinander und mit Nutzer:innen kommunizieren, um etwa Alltagspraktiken und Aufenthaltsorte zu erfassen, zu ordnen und zu beeinflussen. In dieser potenziellen Allgegenwart liegt der disruptive Charakter dieser Technologie. Die
soziokulturelle und gesellschaftliche Dimension dieser rasanten technologischen Entwicklung ist selbst für erfahrene Technikforscher:innen schwer einzuschätzen. Insofern haben wir uns im Projekt für den Dialog nicht nur zwischen verschiedenem inter/disziplinären Fachkulturen entschieden, sondern auch mit Aktivist:innen
und Science-Fiction-Autor:innen.

 

Zentrale Ergebnisse des Forschungsprojekts

 

  • Auch im Jahr 2025 ist offen, ob in naher Zukunft alle Dinge mit einem druckbaren Identifikationscode ausgestattet und mit RFID-Scannern ausgelesen werden können. Es ist weiterhin unklar inwieweit diese Technologie ihren Versprechungen gerecht wird. Aber selbst bei technischen Fortschritten ist unklar, inwieweit sich eine umfassende Inventarisierung vollziehen würde und chipless RFID ein Sensortyp unter vielen für spezifische Anwendungen bleiben wird. Die Potentialität dieser Technik macht aber darauf aufmerksam, dass wir uns in einem rasanten Tempo auf eine Welt zubewegen, in der nicht nur Äußerungen und Verhaltensmuster, sondern auch die Meta-Daten und Verknüpfungen (fast) aller Gegenstände mit Machine-Learning-Methoden analysiert, nach Mustern durchsucht und die digitalen 'Zwillinge' in unterschiedlichster Weise korreliert und ihre Verhältnisse in die Zukunft projiziert werden.
  • Vor diesem Hintergrund ist es eine zentrale Einsicht des Projekts, dass wir uns neben gesellschaftlichen, datenschutzrechtlichen und alltagsweltlichen Fragen mit den meist unterschätzten epistemischen Grundlagen und ontologischen Folgen der Prozesse der Informatisierung, des 'world buildings' durch Software (nicht nur von printable RFID) beschäftigen müssen. Denn Software ist nicht nur Produkt, sondern auch Produzentin von Welten. Sie erfasst, formiert und konfiguriert Aussagen, Handlungen, Objekte, Gefühle etc. in spezifischer Weise. Beim automatisierten Erfassen von Aktivitäten – also der Informatisierung von Handlungsabläufen durch Software (Capture) – erfolgen Prozesse der Formalisierung, die unsere Arbeits- oder Alltagshandlungen in spezifischer Weise konfigurieren. Letztere werden nicht nur registriert, sondern auch "informiert", d.h. Handlungen werden kategorisiert und in spezifische Formen gebracht und damit gestaltet. Es sind die Regeln festgelegter "Grammatiken der Handlung" ('grammar of action'), welche die bearbeitbaren und erfassten Aktivitäten als standardisierte (Handlungs-)Elemente produzieren und damit nicht nur unsere Handlungen rekonfigurieren, sondern diese vor allem auch erfass-, meß-, zähl- und maschinell auswertbar machen. Diese Grammatik der Handlungen findet sich von Microsoft Word, Online-Abrechnungsformularen, eReisepass bis zur Kommunikation auf social media-Plattformen. Die Dimension des 'world building' ist nicht (immer) intentional (gesteuert von Programmierer:innen) und linear entwickelt, sondern vor allem als Effekt von Formalisierung aber auch eines extrem multiplen und heterogenen Prozesses von Programmierung zu verstehen. Diese vermittelte Handlungsmacht von Software gilt es weiter – und vor allem in einer Gesamtschau – in Zukunft genauer zu untersuchen. Es gilt die umfassende 'Grammar of Action' bei der Übersetzung von Welt in Maschinenlesbarkeit genauer zu analysieren und zu überprüfen, ob diese mit demokratischen Werten und Normen auch jenseits von confirmation / automation bias vereinbar sind.
  • Im Laufe des Projekts stellten wir uns – gerade auch mit Blick auf die aktuelle sich abzeichnende Aufrüstung in Europa - die Frage welche Rolle chipless RFID im militärischen Kontext hat. Stützend auf das Gutachten des Friedensforschers Christoph Marischka lässt sich festhalten, dass RFID allgemein in der Logistik des Militärs etabliert ist, dass sich vor allem aber auch chipless RFID in aktueller technowissenschaftlicher Literatur eher eine Nebenrolle spielt. Zudem ist RFID "ein Sensortyp neben vielen anderen im IoBT [Internet of Battle Things]" (cf. Teil III, Buchbeitrag Marischka) und macht wie viele andere Sensortypen Umwelt maschinenlesbar.
  • Auffallend ist, dass es weiterhin kaum eine kultur- oder sozialwissenschaftliche Auseinandersetzung mit der neuen chipless RFID-Technologie (vgl. auch Vorhabenbeschreibung. Entsprechend fokussierte unsere Literaturanalyse fokussiert primär auf die technische Debatte, die aber vorwiegend um Anwendungsfragen kreist. Vor diesem Hintergrund empfiehlt es sich, die Entwicklung der Technologie weiter im Auge zu behalten. Wir erhoffen uns hier durch unseren bald erscheinenden Band eine größere gesellschaftliche Aufmerksamkeit.

 

Quantitative Ergebnisse des Forschungsprojekts

 

  • Projektwebseite: www.ubitag.de
  • Expert:innen-Interviews: 5 Elektroingenieur:innen, 2 Informatiker, 1 Physiker, 2 STS-Wissenschaftlerinnen und 1 NGO-Vertreterin & Medienwissenschaftlerin.
  • Gutachten/Bericht von Christoph Marischka zur Militärgeschichte von (chipless) RFID sowie deren eher marginale Rolle in den Science and Technology Studies (weiteres hierzu im Buch/Sammelband, cf. Teil III)).
  • Literaturrecherche: Anhand 2.681 ermittelten Titeln wurden final 68 Dokumente (darunter 9 Bücher) in den Datenkorpus übertragen und entsprechend weiterverwertet (cf. Teil III).
  • 12 Publikationen (Liste der Veröffentlichung cf. Teil III)
  • Zukunftsworkshop 'Being tagged!', interdisziplinärer Workshop zu den Implikationen von 'Printable RFID' (cf. Teil III)
  • 6 Podcasts unter beingtagged.podbean.com mit Jutta Weber, Daniel Erni, Rena Tangens, Thorben Mämecke, Susanne Öchsner, Niels Benson und Theresa Hannig.
  • Buch/Sammelband 'being tagged' – eine digitale Neuordnung der Welt? (derzeit noch in Bearbeitung, cf. Teil III)

 

Zentrale Empfehlungen des Forschungsprojekts

 

  • Insofern chipless RFID die ubiquitäre (automatisierte) Verknüpfung physischer Objekte und Personen im digitalen Datenuniversum ermöglichen und damit weiter die sich permanent weiterentwickelnden digitalen Infrastruktur- und Identifikationstechnologien (mit)verdichten und eine ubiquitäre Inventarisierung und eventuell auch Kommerzialisierung aller Objekte unserer Welt ermöglichen würde, ist es umso wichtiger, die vom Bundesverfassungsgericht angeregte Überwachungsgesamtrechnung weiterzuführen – u.a. auch mit Blick auf die chipless RFID-Technologie.
  • Der Datenschutz muss durchgesetzt werden zumal der gesetzgeberische Schutz existiert und hierzu sehr klar ist (z.B. Piep/Blink-Signal bei einem Datenübertragungsereignis, cf. Buchbeitrag Thilo Weichert, Teil III).
  • Parallel hierzu bedarf es aber einer Gesamtanalyse der Veränderungen unserer Lebenswelt durch eine sich immer mehr verdichtende digitale Medienökologie mit neuen Formen nicht nur von (skopischer) Überwachung, sondern auch von 'Capture' – der automatisierten Erfassung bzw. Informatisierung, Kategorisierung, Vermessung und letztlich Gestaltung von Arbeits- wie Alltagsaktivitäten, aber auch unserer Umwelt. Software macht uns und unsere Welt maschinenles- und auswertbar entlang impliziter 'Grammatiken der Handlung' ('grammar of action'), welche die erfassten Aktivitäten als standardisierte (Handlungs-) Elemente erst produziert. Die ubiquitäre Logik des Capture erzeugt neue Formen der Wissensproduktion und eine Restrukturierung unserer Entscheidungs- und Alltagshandlungen. Die epistemologischen Grundannahmen von Software nicht nur von einzelnen Technologien, sondern von medialen Ökologien und ihre ontologische Gestaltungsmacht gälte es zu verstehen – und was es bedeutet (möglicherweise schon) in einer nicht nur 'hypothetical world of total capture' zu leben.

News

01.03.2024

Tag 2 unseres Zukunftsworkshops

29.02.2024

Tag 1 unseres Zukunftsworkshops

05.06.2023

Wir präsentieren das Projekt ubiTag auf der STSItalia 2023 in Bologna.

30.05.2023

Alltagsweltliche Anwendungsszenarien können auf technische Entwurfsprozesse zurückwirken


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